Der Kirschholztisch (DE - Original)  The Cherrywood Table (EN) 

Vom ersten Besuch an nahm ich stets Platz an dem langen Kirschholztisch. Bislang war er auch noch nie besetzt gewesen, da die meisten Gäste die kleinen Rundtischchen bevorzugten.
Letztere zwangen dazu, fast Mund an Ohr beieinanderzusitzen, Ellenbogen und Knie berührten sich unwillkürlich.

An meinem Tisch befand sich, trotz dessen Größe, nur jeweils ein einziger Stuhl an jedem Kopfende.
Setzte sich jemand mir gegenüber, begann sich das rötlich schimmernde Möbelstück zu recken und zu strecken, bis ich den anderen Gast nur noch als schemenhafte Silhouette wahrnahm.
Auf diese Weise wurde es der Person unmöglich zu zählen, wie viele Zuckerstückchen ich in meinen Milchkaffee hineinrührte, um mich anschließend über deren unheilvolle Wirkung auf meine Gesundheit aufzuklären.
Selbst hartnäckige Wetterberichterstatter kapitulierten vor dieser Entfernung, trotz Brüllens gelang es ihnen nicht, mir mitzuteilen, was beim Blick aus dem Fenster doch offensichtlich war: „Es regnet ja schon wieder!“

Obwohl von Plaudereien gelangweilt, schob sich der Kirschholztisch bei ausgesuchten Menschen so weit zusammen, dass ich den Titel eines Buchrückens entziffern oder auch Augenspaziergänge meines Gegenübers beobachten konnte.

Letztens ließ ein leise schmatzendes Geräusch den Tisch vor Lachen so stark vibrieren, dass der Inhalt meines Kaffees aus der Tasse schwappte.
Ein weißer Zwergpudel hatte sich die unzählige Male durchgekaute Lebensgeschichte seiner Besitzerin geschnappt und genüsslich daran herumgenagt.
Dies hätte der Augenblick eines gemeinsamen Lächelns sein können, wäre der gegenüberliegende Platz nicht leer gewesen. - Sofern der Tisch solch einen Moment der Nähe zwischen zwei Fremden zugelassen hätte.

© Christiane Schwarze

Episode „Der Kirschholztisch“ aus der Erzählung
Café Zeitvergessen von Christiane Schwarze.
Auszug ihrem dem Buch Imaginäre Begegnungen
© 2015 Wendepunkt Verlag / Weiden
ISBN 978-3942688727

 

 

From my first visit, I always sat at the long cherrywood table. So far, it has never been occupied, as most guests preferred the small circular tables.
The latter forced their occupants to sit almost mouth to ear, elbows and knees touching involuntarily.

In spite of its size, my table had only one chair at each end.
If someone sat across from me, the reddish piece of furniture began to stretch and stretch until I perceived the other guest as merely a shadowy silhouette.
That way, it was impossible for the person to count how many lumps of sugar I stirred into my latte to then inform me of its disastrous effect on my health.
Even tenacious weather reporters surrendered to this distance - no matter how they shouted, they failed to inform me of what was obvious upon a simple glance out the window: “It’s raining again!”

Though bored by chatter, the cherrywood table pushed itself so close together for select people that I was able to read the title on the spine of a book or watch the eyes of the other person wander.

The other day, a quiet smacking sound made the table vibrate so much with laughter that the contents of my coffee spilled from the mug.
A white toy poodle had nabbed the life story of its owner, which had been ruminated on countless times before, and was chewing on it contentedly.
This could have been the moment for a shared smile, had the seat opposite mine not been empty. - Assuming the table would have allowed such a moment of closeness between two strangers.


© Christiane Schwarze

Episode "The Cherrywood Table" from the story
Café Zeitvergessen (Losing track of time Café)
by Christiane Schwarze.

Excerpt from her book Imaginary Encounters
© 2015 Wendepunkt Verlag / Weiden
ISBN 978-3942688727