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Leseprobe aus Café Zeitvergessen

 
Geschlossene Gesellschaft (Episode 8)

Die lange Falt-Schiebetür zum Nebenraum des Cafés war heute geöffnet.
Hände schüttelten sich.
Münder redeten aneinander vorbei.
Zwischen den Zeilen brandete das Ungesagte gegen weißes Porzellan.

Im Meer der Bratensauce schwamm ein totes Schwein.
Der Hefekloß bestellte das dritte Maß Bier.
Kraut errötete nach einem Herrenwitz.
Preiselbeeren wünschten sich in den Wald zurück.

Nach der neuen Quotenregelung lag auch hier auf jedem Teller mindestens ein grünes Salatblatt.

Während das Messer den Schweinerücken zerschnitt, stichelte die Gabel gegen Vegetarier.
Erbsen ließen sich empört unter den Tisch fallen.
Solidarisch entleerte die Mineralwasserflasche ihren Inhalt in den Maßkrug.
Das Bier schäumte!
Die Rosinen in der Sauce versuchten, das Gespräch auf Traube-Nuss-Schokolade zu lenken.

Eilig serviertes Vanilleeis kühlte die Gemüter.

Höfliche Ausreden verabschiedeten sich.
Einige Zigaretten blieben noch bis in die späte Nacht, machten Rauch um nichts.

***

Der Kirschholztisch (Episode 3)

Vom ersten Besuch an nahm ich stets Platz an dem langen Kirschholztisch. Bislang war er auch noch nie besetzt gewesen, da die meisten Gäste die kleinen Rundtischchen bevorzugten.
Letztere zwangen dazu, fast Mund an Ohr beieinanderzusitzen, Ellenbogen und Knie berührten sich unwillkürlich.

An meinem Tisch befand sich, trotz dessen Größe, nur jeweils ein einziger Stuhl an jedem Kopfende.
Setzte sich jemand mir gegenüber, begann sich das rötlich schimmernde Möbelstück zu recken und zu strecken, bis ich den anderen Gast nur noch als schemenhafte Silhouette wahrnahm. Auf diese Weise wurde es der Person unmöglich zu zählen, wie viele Zuckerstückchen ich in meinen Milchkaffee hineinrührte, um mich anschließend über deren unheilvolle Wirkung auf meine Gesundheit aufzuklären.
Selbst hartnäckige Wetterberichterstatter kapitulierten vor dieser Entfernung, trotz Brüllens gelang es ihnen nicht, mir mitzuteilen, was beim Blick aus dem Fenster doch offensichtlich war: „Es regnet ja schon wieder!“

Obwohl von Plaudereien gelangweilt, schob sich der Kirschholztisch bei ausgesuchten Menschen so weit zusammen, dass ich den Titel eines Buchrückens entziffern oder auch Augenspaziergänge meines Gegenübers beobachten konnte.

Letztens ließ ein leise schmatzendes Geräusch den Tisch vor Lachen so stark vibrieren, dass der Inhalt meines Kaffees aus der Tasse schwappte.
Ein weißer Zwergpudel hatte sich die unzählige Male durchgekaute Lebensgeschichte seiner Besitzerin geschnappt und genüsslich daran herumgenagt.
Dies hätte der Augenblick eines gemeinsamen Lächelns sein können, wäre der gegenüberliegende Platz nicht leer gewesen. - Sofern der Tisch solch einen Moment der Nähe zwischen zwei Fremden zugelassen hätte.

***

© Christiane Schwarze

Charlotte Müller, Dr. phil., Rezensentin

"Klavierklänge öffnen den Spalt der Faltschiebetür zum Nebenraum des Cafés, denn heute hatte dort eine geschlossene Gesellschaft Platz genommen.
Eingefangen in surreales Tonmaterial besticht die vorliegende Komposition durch ihre einzige Realität im Moment der Aufführung.

Kurz angeschlagene Akkorde und Einzeltöne treffen auf ausgehaltene Resonanzklänge, die sich durch weit auseinanderliegende Noten ergeben. Dies setzt eine andere Art der Virtuosität voraus, als „nur“ schnelle Läufe abzuspulen.

Bass und Perkussion schließen sich nach und nach dem Stimmengewirr dieser Festgesellschaft an und langsam entwickelt sich das musikalische Gespräch zu einem ungewöhnlich strukturierten Dreivierteltakt, fast als wollten die Instrumente zum „Tanz der Absurditäten“ auffordern.
Denn mit der vorliegenden Satire trifft die Autorin wieder einmal ins Schwarze.
Tausend Mal bei jeder Familienfeier selbst gefühlt: das „Sticheln der Gabel“, alberne zotige „Herrenwitze“ oder „höfliche Ausreden“. Kein Wunder, dass „das Bier schäumte“.
Der Schauder läuft einem über den Rücken, gleichzeitig entzückt wie fabelhaft diese „Gefangenschaft“ in einer solchen Gesellschaft aufgespießt wird. Es gibt kein Entrinnen, außer man „lässt sich unter den Tisch fallen“ oder träumt sich „in den Wald zurück“."

 

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